Zunächst mal verfasst in der Regel nicht der Wehrleiter den Brandschutzbedarfsplan, das haben die Gemeinden unter Beteiligung der Feuerwehr zu machen. Üblicherweise kommt die Vorlage von der Verwaltung, die sie zusammen mit der Feuerwehr erarbeitet hat, und wird dann vom Rat als politische Entscheidung verabschiedet - die Politik hat schließlich auch zu vertreten, welches Sicherheitsniveau geboten wird und bezahlt wird.

Die Schutzzieldefinition der AGBF (Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren, also primär für Bereiche städtischer Bebauung) ist zum einen inhaltlich nicht unumstritten, zum anderen muss man diese wie gesagt nicht 1:1 übernehmen und das steht auch so in dem von Dir genannten PDF am IdF, welches auch andere Beispiele für eine Schutzzieldefinition nennt. Die Schutzzieldefinition der AGBF ist eine im Allgemeinen anerkannte Empfehlung, die aber auf bestimmten Voraussetzungen beruht.

Wenn man zum Beispiel weiß, dass 30 Prozent der Bewohner außerhalb der geschlossenen Bebauung wohnen und die Einhaltung einer x-minütigen Hilfsfrist in diesen Außerortsbereichen dazu führen würde, dass man allein aufgrund der Fahrzeiten anstatt drei Standorten auf einmal zehn bräuchte, dann ist es nicht sinnvoll, einen Erreichungsgrad
von 95% festzulegen. Dann nimmt man halt einen Erreichungsgrad von 70% oder 80%.

Ebenso muss man bedenken, dass die AGBF von städtischer Bebauung ausgeht, also von mehrgeschossigen Mehrparteienhäusern und von einem Brand im Obergeschoss mit verrauchten Rettungswegen. Wenn ich im Ort fast ausschließlich anderthalbgeschossige Einfamilienhausbebauung mit üblicherweise vier Bewohnern habe, kann es legitim sein, nach acht Minuten zunächst nur mit einer Staffel (4 AGT und Steckleiter) anstatt mit zehn Funktionen an der Einsatzstelle zu sein.

Desweiteren kann man auch verschiedene Schutzziele für verschiedene Szenarien aufstellen. In unserem Gebiet macht es zum Beispiel keinen Sinn, acht Minuten für die erste Einheit bei Verkehrsunfällen auf der Autobahn anzusetzen, wenn die Anfahrt bis zur nächsten Abfahrt aufgrund einer Strecke von 13 km nur auf der Autobahn schon länger dauert. Darauf hat die Feuerwehr auch keinen Einfluss. Also mache ich für das Szenario "Verkehrsunfall mit eingeklemmten Personen auf der Autobahn" ein anderes Schutzziel als für den Zimmerbrand.

Was die Auswertung angeht, muss man darauf achten, vergleichbare Einsätze auszuwerten. Auch wenn ich eine Notfalltüröffnung als "zeitkritischen" Einsatz ansehe, muss ich mir bewusst sein, dass das meinen Erreichungsgrad massiv herunterziehen kann, wenn ich für diese Einsatzart nur eine Kleinalarmschleife mit 18 Personen alarmiere (weil ich sechs Mann in entsprechender Zeit haben möchte). Wenn ich nur 18 Personen alarmiere, kann ich nach 13 Minuten schlecht 16 Funktionen vor Ort habe. Also berücksichtige ich diese Einsätze nicht in der Auswertung für den zeitkritischen Wohnungsbrand.

Das ist eben alles nicht so einfach, als dass man es mal eben in zwei Sätzen in einem Gesetz abhandeln könnte. Deswegen ist es eine politische Entscheidung, was die einzelne Kommune Ihren Bürgern an Sicherheit bietet und wie sie es bezahlen kann und will. Ich bin der festen Überzeugung, dass in fast allen Ländern mit fixen Schutzzielen, vor allem wenn man das AGBF-Schutzziel 1:1 übernimmt, der tatsächliche Erreichungsgrad sehr schlecht aussehen würde. Die ergibt sich alleine schon aufgrund der Fahrtzeiten in ländlichen Gebieten. Allerdings packt das Thema keiner an, weil es ein heißes Eisen ist.

Mit der selben Argumentation gibt es im Bauordnungsrecht übrigens auch keine Vorgabe, wann das Rettungsgerät der Feuerwehr, welches den zweiten Rettungsgweg aus einem Gebäude sicherstellen soll, vor Ort sein muss.