Aus Fehlern gelernt - totale Sicherheit gibt’s nicht

Von Wolfgang Schneider und Mike Roth

Vor einem Jahr, am 21. Januar 2013, warf der Brand in der Telekom-Vermittlungsstelle in Siegen eine ganze Region in die Telekommunikations-Steinzeit zurück. In den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe sowie den angrenzenden Gebieten in Rheinland-Pfalz und Hessen waren eine halbe Million Menschen bis zu vier Tage lang ohne Festnetz, Mobilfunk und Internet.

Der Netzausfall war ein Desaster für die gesamte Region. Neben Privatpersonen waren hunderte Firmen betroffen und mussten teilweise die Produktion einstellen. Tausende von Bankkunden konnten kein Geld an den Automaten abheben oder per Karte zahlen. Und selbst die Notrufnummern 110 und 112 waren vom Netzausfall betroffen. Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst waren stundenlang nicht erreichbar. Die Behörden fuhren teilweise mit Lautsprecherwagen durch die Straßen und informierten die Bürger über die Situation.
Desaster für die ganze Region

Politiker und Behörden sprachen später von großem Glück, dass niemand wegen fehlender Hilfe ums Leben gekommen sei. Die Telekom selbst sprach damals von einem "in dieser Dimension bisher absolut einzigartigen Ereignis". Doch was ist seitdem passiert? Welche Konsequenzen hat der Netzausfall gehabt?

Im Gebäude der Telekom brannten Schaltkästen.

Aus dem Brand habe man beim Wiederaufbau der Vermittlungsstelle gelernt, betont André Hofmann, der Pressesprecher der Telekom: "Wir haben das Ganze so geregelt, dass wir die komplette Internettechnik von der Telefonietechnik jetzt räumlich getrennt haben, so dass wir dort die Möglichkeit haben, über verschiedene Stockwerke an die jeweilige Technik zu kommen. Dadurch soll vermieden werden, dass Telefon und Internet bei einem Brand gleichzeitig ausfallen."
Telekom wegen Informationspolitik in der Kritik

Heftige Kritik musste die Telekom vor einem Jahr vor allem wegen ihrer zögerlichen Informationspolitik einstecken. Unter anderem waren die Medien betroffen, die zeitweise keine Informationen erhielten und weitergeben konnten. In einer Sondersendung des WDR Siegen erhoben später unter anderem Siegens Landrat Paul Breuer und Bürgermeister Steffen Mues schwere Vorwürfe gegen die Telekom. Das sei auch dem Innenministerium nicht verborgen geblieben, berichtet der Burbacher Landtagsabgeordnete Falk Heinrichs, der Mitglied des Innenausschusses ist. Es sei erkannt worden, wo die Probleme lagen, sagt er.
Probleme erkannt

Beate Schmies vom WDR Siegen, Siegens Landrat Paul Breuer und Bürgermeister Steffen Mues kritisierten die Telekom.

"Dass man vor Ort eine bessere Einweisung durch die Deutsche Telekom AG bekommt, dass die Kommunikation besser sein muss und ich glaube, dass man da einiges noch verbessern kann." Die Politik hat Druck gemacht – und die Telekom hat Besserung gelobt. Sprecher André Hofmann kündigt an, "dass wir demnächst in einer solchen Notsituation einen Ansprechpartner vor Ort haben, der auskunftsfähig ist, der als Bindeglied zwischen den Einsatzkräften und der Stadt fungiert, so dass gewährleistet ist, dass alle Personen immer auf dem aktuellsten Stand sind".
Gemeinsame Leitstelle geplant

Auch aus dem Ausfall der Notrufe haben die Behörden Konsequenzen gezogen. Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst waren damals stundenlang nicht erreichbar. Das soll in Zukunft nicht mehr passieren. Deshalb sind die Kreise Siegen-Wittgenstein und Olpe sowie der Hochsauerlandkreis dabei, eine gemeinsame Leitstelle einzurichten. Die ersten Grundsatzbeschlüsse dafür sind schon gefasst. Durch diese sogenannte Verbundleitstelle soll die jederzeitige Erreichbarkeit der Notrufnummern 110 und 112 garantiert werden – auch, wenn in einem der drei beteiligten Kreise die Leitstelle wegen eines Ausfalls nicht erreichbar ist.
Feuerwehren werden geschult

Die Notrufnummern von Polizei und Feuerwehr waren nicht erreichbar.

Lehren aus dem Brand in Siegen hat man auch bei den Feuerwehren im Land gezogen. So werden am Institut der Feuerwehr in Münster spezielle Schulungskonzepte erarbeitet. Dabei wird den Wehrleuten gezeigt, wie man Brände in Vermittlungsstellen und Serverräumen löschen kann, ohne den Strom abstellen zu müssen. Denn die Stromabschaltung war vor einem Jahr in Siegen der Grund dafür, dass es zum totalen Blackout kam.
Schadensersatz in Millionenhöhe

Vor allem viele Firmen hatten unter dem Netzausfall zu leiden. Teilweise stand die Produktion still, teilweise gingen Aufträge verloren. Die Wirtschaft klagte laut einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer Siegen über Schäden in Höhe von mindestens fünf Millionen Euro. Ob und in welcher Höhe Schadensersatz geleistet worden ist, dazu will sich die Telekom nicht äußern. Sie betont aber, Klagen gegen die Telekom habe es nicht gegeben.
Kunden bleiben bei der Telekom

Außerdem ist der große Wechsel zu anderen Netzbetreibern ausgeblieben. Nach Auskunft der Telekom sind die Kundenzahlen im Vorwahlbereich 027 nahezu identisch mit denen vor dem Netzausfall. Auch in den Reihen der Wirtschaft habe sich die Wechselbereitschaft in Grenzen gehalten, berichtet Hermann-Josef Droege von der Industrie- und Handelskammer Siegen: "Einzelne Unternehmen haben wohl gewechselt. Weitere Unternehmen haben zumindest ernsthaft Verhandlungen geführt. Es gibt aber auch Unternehmen, die trotz des großen Frustes gleichwohl gesagt haben: Wir bleiben bei der Telekom, weil wir letztendlich keine echte Alternative sehen."
Kreise mit eigenem Richtfunknetz

Bankkunden konnten kein Geld abheben.

Der Siegener Landrat Paul Breuer zieht ein Jahr nach dem Netzausfall folgende Bilanz: "Wir haben festgestellt, dass Abhängigkeiten von einem Netz in der Zukunft vermieden werden sollen und müssen. Und wir sind dabei, in den Bereichen, in denen wir Einfluss darauf haben, eine zweite Möglichkeit, sprich eine Redundanz herzustellen." Mit Blick aufs Internet ist die Telekommunikationsgesellschaft Südwestfalen (TKG) eine Alternative, deren Gesellschafter die fünf südwestfälischen Kreise sind. Sie arbeitet auf Richtfunkbasis und ist somit unabhängig vom Telekomnetz. Sowohl Internet als auch Telefon gibt es über den Kabelnetzbetreiber Unitymedia. Damit ist das Kabelnetz eine wirkliche Alternative, die aber längst nicht überall in Südwestfalen verfügbar ist.
Kein zweites Notfallnetz der Telekom

Gefordert worden war nach dem Totalausfall eine Absicherung durch ein zweites Notfallnetz der Telekom, eine sogenannte Redundanz. Doch das bleibe auch in Zukunft ein Wunschtraum, betont Telekom-Sprecher André Hofmann: "100-prozentige Sicherheit werden sie nicht erreichen können, egal was sie für ein Netz aufbauen. Und darüber hinaus ist ein komplett redundantes Netz leider Gottes utopisch, da diese Kosten sämtliche Rahmen sprengen würden."

Quelle:
http://www1.wdr.de/studio/siegen/the...siegen100.html