Rettungsassistenten ließen bewusstlosen Patienten zurück


Zwei Rettungsassistenten, 37 und 39 Jahre alt und seit 1991 im Rettungsdienst tätig, ließen am Abend des 6. Mai 2004 einen 48-jährigen volltrunkenen, bewusstlosen Mann in Zangberg, Landkreis Mühldorf, hilflos zurück. Der Patient verstarb einige Zeit später. Er war an Erbrochenem erstickt. Hatte das Amtsgericht Mühldorf gegen die beiden Angeklagten nur eine »Verwarnung mit Vorbehalt«, eine Art »Geldstrafe zur Bewährung«, wegen fahrlässiger Tötung verhängt, so verschärfte die Vierte Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzendem Richter Johann Dörr auf Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil. Die beiden Rettungsassistenten müssen jeweils 90 Tagessätze Geldstrafe zahlen. Bei unterschiedlichen Tagessatzhöhen macht das für den 37-Jährigen 2700 Euro, bei seinem zwei Jahre älteren Kollegen 1800 Euro aus.

Als die beiden Angeklagten damals an den Einsatzort kamen, waren zwei Männer bei dem 48-Jährigen, einem Monteur aus der Ex-DDR, der während der Woche auf einer Brückenbaustelle der Bahn arbeitete. Nach der Arbeit hatte er eine ausgiebige Zechtour unternommen. Rechtsmediziner ermittelten später einen Blutalkoholgehalt von 3 bis 3,5 Promille. Die beiden Zeugen hatten den Monteur von der Gaststätte mit einem Schubkarren nach Hause geschafft. Sie brachten den Betrunkenen in die »stabile Seitenlage« und riefen Hilfe. Die beiden hauptberuflichen Rettungsassistenten registrierten einen normalen Puls und weigerten sich, den Betrunkenen mitzunehmen. Sie packten den nicht ansprechbaren und nicht weckbaren Patienten in eine Decke und ließen ihn in »stabiler Seitenlage« im Hausflur liegen. Um fünf Uhr lebte er noch. Um 6.50 Uhr wurde er tot aufgefunden.

Witwe fordert Schmerzensgeld

Im Ersturteil vom Februar hieß es: »Es war erkennbar und vorhersehbar, dass eine Gefahr durch Ersticken bestand. Alleine die stabile Seitenlage genügte nicht.« Das Amtsgericht Mühldorf befand beide Angeklagte der fahrlässigen Tötung für schuldig. Der Richter gelangte zu einer »Verwarnung mit Vorbehalt«. Erst im Falle einer neuerlichen Straftat wären die Geldstrafen von jeweils 2700 Euro fällig gewesen. Gegen den vorangegangenen Strafbefehl über eine Geldstrafe von 3000 Euro hatten die Rettungsassistenten Einspruch eingelegt.

Die »Verwarnung« war der Staatsanwaltschaft nicht genug Strafe für eine »fahrlässige Tötung«. In dem jetzigen Prozess war der Schuldspruch bereits rechtskräftig. So musste die Vierte Strafkammer ausschließlich die Höhe der Strafe neu festlegen. In der Hauptverhandlung verlas der Vorsitzende Richter ein Anwaltsschreiben namens der 56-jährigen Witwe des Verstorbenen. Darin wurde argumentiert, ihr 48-jähriger Ehemann sei der Ernährer der Familie und »kerngesund« gewesen. Die Witwe fordere von den Angeklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 285 000 Euro.

In diesem Zusammenhang fragte Johann Dörr nach einer eventuellen Berufshaftpflichtversicherung. Das Ergebnis: Beide Rettungsassistenten sind nicht selbst oder über ihren Arbeitgeber, das Bayerische Rote Kreuz, haftpflichtversichert für einen derartigen Fall. Das sei auch gar nicht möglich, wie die Verteidiger – Peter Müller und Guido Stadtmüller, beide aus Mühldorf – informierten. Aber: Es bestehe eine Betriebshaftpflichtversicherung des BRK. Ob diese einspringt, wird derzeit noch geprüft. Einen Regressanspruch der Angeklagten gegenüber ihrem Dienstherrn Rotes Kreuz haben die beiden Rechtsanwälte schon geprüft. Dazu Guido Stadtmüller am Rande des Prozesses: »Bisher gibt es in der Rechtsliteratur keine Entscheidung gegen eine Hilfsorganisation.«

Staatsanwalt Ralf Burkhard betonte im Plädoyer, die von den Angeklagten angeschnittenen finanziellen Folgen für sie selbst reichten nicht, um von einer Strafe abzusehen. Burkhards weitere Argumente griff das Gericht in der Urteilsbegründung weitgehend auf. Verteidiger Peter Müller hob heraus: »Die Angeklagten werden künftig jeden Betrunkenen ins Krankenhaus fahren. Das wird während des Volksfestes dann den Betrieb zusammenbrechen lassen.« Dortige Ärzte hätten erklärt, sie seien »nicht zuständig für Bierleichen«, sei doch »Betrunkensein keine Krankheit«. Die jetzigen drei Beobachtungszellen in der Klinik habe es zur Tatzeit noch nicht gegeben. Möglicherweise wäre das Opfer »auf dem Gang im Krankenhaus erstickt«. Bei der Polizei werde in der Ausnüchterungszelle »die Klappe nur einmal pro Stunde geöffnet«. Guido Stadtmüller, der Verteidiger des 39-Jährigen, bezeichnete das Urteil des Amtsgerichts als »völlig korrekt« und beantragte, die Berufung des Staatsanwalts zurück zu weisen.

»Nicht zuständig für Bierleichen«

Vorsitzender Richter Johann Dörr hielt beiden Angeklagten ihr bislang tadelloses Vorleben zu gute. Sie hätten sich in ihrem Beruf für die Gesellschaft eingesetzt. Positiv zu werten sei außerdem, dass sie die Folgen der Tat bedauerten. Zudem habe eine gewisse Mitschuld des Opfers vorgelegen – durch den vielen Alkohol. Dörr nannte unter den strafschärfenden Aspekten: »Sie waren verpflichtet, dem Patienten in dessen hilfloser Situation Hilfe angedeihen zu lassen. Ein Bewusstloser Mann müsse ins Krankenhaus gebracht werden. Bei Fahrlässigkeit sei die Höhe der Strafe auf das »Maß der Pflichtwidrigkeit« und die »Folgen der Tat auf der Opferseite« abzustellen: »Das Opfer ist tot.« Der Vorsitzende Richter weiter: »Die Vorbehaltsverwarnung des Erstgericht war eine Strafe an der untersten Grenze. Wir sehen keine besonderen Umstände, um die Angeklagten vor Strafe zu verschonen.«

Quelle: http://www.traunsteiner-tagblatt.de/...hr.php?id=9265