"Im Ernstfall eine Katastrophe - warum Deutschland auf Chemie-Terror schlecht vorbereitet ist"

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Rundfunk Berlin Brandenburg
Kontraste
Beitrag vom 01.06.2006
Im Ernstfall eine Katastrophe – warum
Deutschland auf Chemie-Terror schlecht
vorbereitet ist
Die Innenminister der Länder feiern den Standort Deutschland vor der
WM als katastrophensicher – selbst in Bezug auf einen terroristischen
ABC-Angriff. Doch Recherchen von KONTRASTE offenbaren die
Katastrophenabwehr als potemkinsche Kulisse: Feuerwehrmänner ohne
Ahnung, Krankenhäuser ohne Vorräte und vertuschte Pannen während
WM-Katastrophenübungen. Steffen Mayer und Michael Beyer entlarven
die erschreckenden Lücken im System.
Was die Deutschen anpacken, das machen sie gründlich, glaubt
die Welt von uns. Vorbildliche Planung, reibungslose Abläufe,
disziplinierte Organisatoren: das Fußballfest kann beginnen!
Selbst auf Katastrophen ist man bestens vorbereitet, sagen die
Innenminister. Klar, Veranstaltung, auf denen aus Menschen
Massen werden, sind unkalkulierbar. Und deshalb muss der
Ernstfall geprobt werden. Er wurde es auch – mit deutscher
Gründlichkeit. Michael Beyer und Steffen Mayer haben sich
davon überzeugen können. Nicht einmal die Katastrophe wird
bei uns dem Zufall überlassen. Und gerade deshalb bekamen sie
einen Schreck.
Aufmarsch für die WM. Deutschland wartet auf den Anpfiff und die
Gefahrenabwehr steht. In allen zwölf WM-Stadien wurde der Ernstfall
geprobt. Auch der so genannte MANV – der Massenanfall von
Verletzten. Dabei werden hunderte Menschen verletzt. Die
Verantwortlichen sind sich einig – für den Fall X ist Deutschland
verdammt gut aufgestellt.
Verantwortliche
„Eigentlich sehr positiv, es läuft überraschend rund.“
„Mein Eindruck ist, dass hier alle Kräfte hervorragend
zusammenarbeiten.“
„Und das haben wir erfolgreich getan.“
München vergangene Woche, Jahrestagung der Schutzkommission:
Sicherheitsexperten, Chemiker und Notfallmediziner treffen sich. Ihre
Aufgabe: sie informieren den Bundesinnenminister über die Gefahren,
die Deutschland drohen könnten.
Einer von ihnen ist der renommierte Katastrophenforscher Wolf
Dombrowsky.
Er weiß, wie Experten hinter den Kulissen die Lage wirklich
einschätzen.
Wolf Dombrowsky, Katastrophenforscher Universität Kiel
„Alle haben, ich darf das mal so flapsig sagen, die Hosen gestrichen
voll. Und wenn man jetzt sagt, oh, hier haben wir Probleme, da sind
wir noch nicht gut aufgestellt, das traut sich kein Mensch. Wenn man
dieses Dilemma sieht, dann muss man einfach Verständnis dafür
haben, dass alle sagen, ja, es läuft wunderbar, wir haben geübt, alles
im Griff. Alle Fachleute hinter vorgehaltener Hand, sagen ihnen, es gibt
eine Menge Probleme und wir hätten in manchen Dingen ein paar
Monate eher beginnen müssen.“
Dortmund vor drei Wochen – eine Großübung der Feuerwehr. Das
Szenario: ein Sturm zieht während eines WM-Spiels über die Stadt. Die
Folge: Unfälle, eine Riesenleinwand stürzt ein. 250 Menschen werden
verletzt.
Zur gleichen Zeit gibt es eine Gasexplosion. Was die Bilder nicht
verraten. Für diese Übung gab es einen genauen Ablauf, der
KONTRASTE exklusiv vorliegt.
Das Papier lässt uns zweifeln, ob die Veranstaltung in Dortmund nicht
eher eine Show war. Wir lassen den Übungsplan von dem Berliner
Feuerwehrmann und Gewerkschafter Michael Schombel überprüfen.
Der Hauptbrandmeister ist seit 21 Jahren im Dienst. Ihm fällt sofort
auf: etwaige Fehler in der Arbeit des Krisenstabes werden nicht
berücksichtigt. Es heißt: Die Arbeit des Krisenstabes ist kein
Übungsbestandteil.
Michael Schombel, Feuerwehrmann, Gewerkschaft der Polizei
„Der Krisenstab ist die Führungsebene für solche Katastrophenfälle.
Und wenn der schon nicht in die Übung mit eingebunden wird, wie soll
dann im Ernstfall die Koordinierung zwischen Krisenstab und
Einsatzstelle funktionieren, wenn man da sagt, die lassen wir mal
einfach außen vor.“
Die gravierendste Manipulation. Der Plan erlaubt, entstehende Fehler
sofort zu korrigieren:
Zitat:
„Die Gesamtübungsleitung ist berechtigt in den Übungsbetrieb
steuernd einzugreifen.“
Michael Schombel, Feuerwehrmann, Gewerkschaft der Polizei
„Dann ist das, was geübt eigentlich nur noch eine Farce. Weil wir
wollen ja die Realität möglichst nah üben und wenn wir jetzt aber von
außen immer wieder Leute haben, die eingreifen, ist diese Realität
nicht mehr so zu üben, wie sie eigentlich gedacht war.“
Völlig absurd: jeder Teilnehmer der Übung bekam vorab diesen Plan.
Das bestätigte die Feuerwehr Dortmund. Jeder wusste somit genau,
was auf ihn zukommt.
Michael Schombel, Feuerwehrmann, Gewerkschaft der Polizei
„Die Realität sieht ja komplett anders aus, dass man hinfährt und man
weiß nicht, auf was man da trifft und so ein Drehbuch zu bekommen
vorher, das kennen wir aus dem Fernsehen: ‚Gute Zeiten Schlechte
Zeiten’, wenn man es vorher weiß, was man sagen soll, dann weiß man
auch, was hinterher dabei rauskommt. Und es hilft keiner Feuerwehr
weiter, nach so einem Drehbuch zu arbeiten.“
Der Dortmunder Übungsplan - ein reines Showdrehbuch? Wie haben
die anderen WM-Standorte geübt? Nach Drehbuch oder realistisch? Wir
haben auch bei den andern Feuerwehren die originalen Übungspläne
angefragt. Bekommen haben wir sie nicht. Stattdessen die Auskunft.
Die Übungen seien einfach gut gelaufen.
Wolf Dombrowsky, Katastrophenforscher Universität Kiel
„Es gibt ganz realistische Übungen, die habe ich hier nirgendwo in
dieser Weise gesehen. Ich habe Verletztendarsteller gesehen, die drei
Stunden vor Übung fertig geschminkt herum lagen, mit Zetteln, worauf
stand, das ist deine Übungsrolle. Ich habe Ärzte gesehen, die wussten
welche Übungen, welche Verletztenbilder sie finden werden. Ich habe
Einsatzkräfte in Bereitstellungsräumen 100 Meter um die Ecke
gesehen, die sagten, in fünf Minuten, Jungs, sind wir dran. Wenn so
geübt wird, im Grunde genommen ist das das Geld nicht wert und den
Namen Übung nicht wert.“
Auch in Berlin übte die Feuerwehr für die WM, aber ohne Drehbuch.
Chemieunfall im Nahverkehr, so das Horrorszenario. Hundert Menschen
verletzt, dreißig schwer. Das Übungskonzept hier: nur zwei Seiten
Papier. So wurde die Katastrophe realistisch geübt – eine Premiere. Die
Übung deckte massive Schwachstellen auf.
Klaus Krzizanowski, Feuerwehrmann und Gewerkschafter war mit
dabei.
Klaus Krzizanowski, Feuerwehrmann, Gewerkschaft der Polizei
„In der Übung konnte man schön sehen, das ein Riesen-Chaos
entsteht. Chaos entsteht immer, aber ein Chaos muss nach einer
gewissen Zeit auch regelbar sein, muss übersichtlich sein.“
In Berlin bekamen die Einsatzkräfte das Chaos nicht in den Griff.
Verletzte blieben sich selbst überlassen, versuchten sich verzweifelt
selbst zu helfen. Es dauerte eineinviertel Stunden bis Retter in
Schutzanzügen kamen. Viel zu spät und überfordert. Frust bei den
Statisten.
Bundeswehrstatist
„Ehrlich gesagt, tut mir leid, wenn wir als Vorgesetzte bei der
Bundeswehr, als Offiziere und Unteroffiziere so was machen, dann
könnten wir unseren Rock ausziehen bei so einer Übung, das ist
einfach mal erbärmlich und Scheiße.“
Viele Verletzte wären längst tot. Ausrüstung zu spät und am falschen
Ort. Die Retter konzeptlos. Fast zweieinhalb Stunden nach dem Alarm
haben die Einsatzleiter noch immer keinen Plan der Lage, denn der
wurde bei dieser Übung nicht mitgeliefert.
Klaus Krzizanowski, Feuerwehrmann, Gewerkschaft der Polizei
„Das scheint ein Schwerpunkt gewesen zu sein, dass hier die
Führungskräfte nicht zusammengearbeitet haben und einfach die
Koordination mit der Einsatzstelle nicht hinbekommen haben.“
Um die Fehler auszubügeln, musste die Führung noch einmal
nachsitzen. Die Übung ohne Drehbuch war damit ein Erfolg – es sah
zwar schlecht aus, aber die wirklichen Lücken und Fehler wurden
erkannt. Es wurde nachgebessert. Die realistische Berliner Übung – sie
erforderte viel Mut von den Verantwortlichen.
Kein Wunder, dass woanders lieber mit Drehbuch eine Show gemacht
wird.
Klaus Krzizanowski, Feuerwehrmann, Gewerkschaft der Polizei
„Es bringt der Feuerwehr nichts, aber es bringt den politischen
Verantwortlichen was, nämlich Sicherheit in der Bevölkerung zu
suggerieren und zu behaupten, es sei alles in Ordnung. Wenn man
dann aber hinter die Kulissen schaut, ist es in der Regel anders.“
Können wir nur hoffen, dass er nicht eintritt, der Ernstfall.
Beitrag von Steffen Mayer und Michael Beyer
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Endlich mal Leute die die Wahrheit sagen und nicht den Kopf in den Sand
stecken!

Wie läuft das bei euch so ab.... auch nur Lug & Betrug?

Gruß und schöne Pfingsten,
Jochen