Hallo!
Hier zum Schluß eine kleine Abendlektüre :
Sonderrechte
Die Nutzung der öffentlichen Straßen sowie Rechte und Pflichten zur Nutzung durch Verkehrsteilnehmer werden in der Straßenverkehrsordnung geregelt.
Besondere Institutionen wie z.B. Polizei, Feuerwehr, BGS, Zoll, aber auch Rettungsdienste, Bundeswehr usw. haben manchmal Probleme, sich an die Regeln zu halten. Immer dann nämlich, wenn es darum geht, bedeutende Sachwerte oder Menschenleben zu retten. Das gehört zu den hoheitlichen Aufgaben, die diesen Organisationen übertragen wurden.
Da die Straßenverkehrsordnung aber für alle Verkehrsteilnehmer bindend ist, müssen Hoheitsträger ausdrücklich für bestimmte Situationen die Erlaubnis erhalten, von diesen Regeln abweichen zu dürfen.
Für die Teilnahme am Straßenverkehr regelt dieses abschließend und auch ausschließlich der
§ 35 StVO ( Sonderrechte) !
§ 35 Abs. 1 :
Von den Vorschriften dieser Verordnung sind die Bundeswehr, der Bundesgrenzschutz, die Feuerwehr, der Katastrophenschutz, die Polizei und der Zolldienst befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist.
§ 35 Abs. 5a :
Fahrzeuge des Rettungsdienstes sind von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.
§ 35 Abs. 8 :
Die Sonderrechte dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.
Einschränkung : § 36 Abs 1 :
Die Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten sind zu befolgen. Sie gehen allen anderen Anordnungen und sonstigen Regeln vor, entbinden den Verkehrsteilnehmer jedoch nicht von seiner Sorgfaltspflicht.
Weitere, für den Nutzer von Sonderrechten zu beachtende Vorschriften :
VwV (allgemeine Verwaltungsvorschrift) zur StVO
zu § 35 Abs. 1 StVO
Bei Fahrten, bei denen nicht alle Vorschriften eingehalten werden können, sollte, wenn möglich und zulässig, die Inanspruchnahme von Sonderrechten durch blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn angezeigt werden.
Erläuterungen zu § 35 StVO (gekürzt)
Zu Abs. 1 :
Unter den Voraussetzungen dieser Vorschrift sind Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften der StVO gerechtfertigt, solche gegen andereStrafgesetze aber nicht.
- Hoheitliche Aufgabe
... ist jede Vornahme von Diensthandlungen, die unmittelbar der Erfüllung von Aufgaben der genannten Organisationen dient (auchÜbungsfahrten).
In Erfüllung einer hoheitl. Aufgabe kann nur der Bedienstete sein, der zuständig ist, sie wahrzunehmen.
- ... zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ...
Das besagt, daß es nicht auf die Dringlichkeit der Aufgabe ankommt, sondern darauf, ob die Erfüllung der Aufgabe bei Beachtung einer bestimmten (hinderlich wirkenden) Regel ernstlich in Frage gestellt (nicht nur erschwert) oder gar vereitelt würde. Sind bei einer Einsatzfahrt die Einzelheiten des Anlasses nicht in vollem Umfang bekannt, so darf bis zur Ermittlung des Gegenteils von der ungünstigsten Annahme ausgegangen werden, wenn dies nicht völlig abwegig ist. (Oberlandesgericht Celle in VRS 74, 220)
Jeder Bedienstete einer genannten Organisation kann das Sonderrecht beanspruchen, wenn er an der Erfüllung einer Aufgabe dieser Organisation beteiligt ist. Es muß kein Dienstfahrzeug benutzt werden.
Zu Abs. 8 :
Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, daß der Bedienstete, der sich
anschickt, in Erfüllung seiner hoheitl. Aufgaben z.B. eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, widersinnig handelte, würde er dabei neue Gefahren für die Allgemeinheit herbeiführen.( Dieses impliziert die hohe Verantwortlichkeit desjenigen, der die Sonderrechte in Anspruch nimmt ! )
Fallbeispiel
Der Melder wird ausgelöst, Oberfeuerwehrmann Ernst Eilig stürmt zum Auto !
Er muß quer durch die 5.000-Seelen-Gemeinde zum Feuerwehrhaus. Da es Mittwoch abend, 22.30 Uhr, ist, ist im Ort nichts mehr los, die Straßen sind leer, die Ampeln ausgeschaltet. Eigentlich hätte Ernst Eilig an der Kreuzung rechts-vor-links beachten müssen. Aber die Kreuzung ist schon auf 15 m einsehbar und deshalb kann Ernst zügig (80-90 km/h sind bei einem Feuer ja wohl angemessen) durchziehen. Ohne zu bremsen will er die Kreuzung überqueren. Leider kam Willi Wichtig auf der vorfahrtberechtigten Straße von seinem Restaurantbesuch und wollte nur nach Hause.
Sind 4 Wochen Krankenhaus ein angemessener Preis für ein Feuer ?
rechtliche Würdigung
Ernst Eilig beruft sich darauf, daß er hoheitliche Aufgaben wahrnimmt, die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist und er somit Sonderrechte aus § 35 Abs. 1 StVO in Anspruch nehmen darf, auch mit seinem privaten PKW. RICHTIG
Eilig verstößt aber durch seine Fahrweise gegen Strafgesetze. Er begeht eine Straßenverkehrsgefährdung verbunden mit einer Körperverletzung nach dem Strafgesetzbuch. Tatbestandsmäßig werden diese Straftatbestände erfüllt, lediglich die Schuldfrage ist zu klären. Die Regelverletzung selbst ist nicht schuldbegründend, da sie durch § 35 StVO gerechtfertigt wird. Zu prüfen ist, inwieweit Ernst Eilig § 35 Abs. 8 StVO hinreichend beachtet hat. Die Sonderrechte dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.
Diese Einschränkung ist bindend und beinhaltet keine weitere Einschränkung oder Ausdehnung, die eine Außerachtlassung des Absatzes 8 zuläßt. Im vorliegenden Fall bedeutet es, daß Ernst Eilig sich zuverlässig zu vergewissern hat, ob er die Kreuzung sicher überqueren kann. Hierbei spielt es keine Rolle, ob er Vorfahrt hat oder nicht oder ob er sogar mit Blaulicht und Martinshorn fährt.
Konsequenz
Ernst Eilig hat bei der begründeten Inanspruchnahme von Sonderrechten aus § 35 Abs. 1 StVO
den Absatz 8 nicht beachtet (er hat vermutlich nicht einmal daran gedacht).
Eilig handelt also grob fahrlässig und verursacht dadurch einen Verkehrsunfall mit Personenschaden.
Damit tritt die berechtigte Inanspruchnahme von Sonderrechten in den Hintergrund und die strafrechtlichen Aspekte kommen voll zum Tragen. Ernst Eilig hat den Verkehrsunfall schuldhaft verursacht.
Folgen :
Ernst Eilig muß alle entstandenen Kosten aus dem Unfall übernehmen:
- Sachschäden an den Fahrzeugen
- Behandlungskosten von Verletzten bis hin zu Reha-Kosten und einer möglichen Rente seines
Unfallgegners, wenn dieser bleibende Schäden davonträgt
Da Eilig den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hat, wird auch seine Versicherung keine Kosten übernehmen !
Das Strafverfahren endet mit einer saftigen Geldstrafe und Ernst Eilig ist seinen Führerschein garantiert
für 1 Jahr los. Nach Ablauf dieses Jahres bekommt er ihn auch nicht automatisch wieder, er muß ihn komplett neu beantragen! Wenn er Pech hat und den Führerschein nach "altem" Recht erworben hat, bekommt er nun eine Fahrerlaubnis nach "neuem"Recht.
Seine Besitzstandswahrung (z.B. bei Klasse 3 bis 7,5 t. GM) verliert er dabei.
Die Feuerwehr hat für ein Jahr einen weiteren Fußgänger und danach einen Kameraden, der längst nicht mehr alle Feuerwehrfahrzeuge fahren darf !
gute Nacht!