Wers noch nicht kennt, ich fands saulustig!

Merry X-mess

Das Weihnachtsgetue geht mir auf den Geist!
Ich habe ü-b-e-r-haupt nichts dagegen, wenn der Einzelhandel den Normalbürger bis aufs Hemd schröpft; dazu ist er
schliesslich da! Der Normalbürger, meine ich. Aber warum muss das Ganze unter dem cocacola-roten
Deckmäntelchen der
ewigen Liebe und zur McDonalds-Version von ’Oh Tannenbaum’ stattfinden? Liebe deinen Einzelhändler wie dich
selbst?
Von mir aus! Was mich lediglich aufregt, ist die Tatsache, dass die ganze Sache ansteckend ist: Unter jeder email steht
unweigerlich ein saublöder Weihnachtsgruss, mein Postfach ist mit den Segenswünschen altruistischer
Versandhäuser
verstopft, und unser Faxgerät kommt mit dem Drucken kaum noch nach:
lauter herzliche Glückwünsche fuers neue (Geschäfts-)Jahr. Alle Mitarbeiter verschicken wie die Wahnsinnigen
emails mit
albernen Graphiken und Animationen (an denen natürlich lauter hübsch verpackte Makro-Viren dranhängen!).
Seit irgendein kompletter Vollidiot Frau Bezelmann gezeigt hat, wie man übers Netz Soundfiles abspielen kann,
müssen wir
uns den ganzen Tag Sinatras ’White Christmas’ Achtstimmig anhören.
Und heute Morgen entdecke ich, dass Frau Bezelmann im Rechnerraum einen Kranz Tannenzweige um den Fileserver
B herum
drapiert hat; der neue Fileserver B, auf dem meine geheiligten DOOM-Szenario-Dateien gespeichert sind! Natürlich
saugen
die Lüfter die Nadeln an und bleiben stehen. Zwei SCSI-Platten sind bereits verreckt!
Ich gehe in mein Buero, fahre die Schilde hoch, stopfe mir Oropax in die Ohren und schaue mir, um mich abzulenken,
ein paar
Quicktime-Movies der letzten Bombenangriffe im neuen Golfkrieg an. Es hilft nix! ’White Christmas’ dringt mühelos
durch
die doppelte Bürotüre und schleimige Wachspfropfen. Auf meinem Display schneit es, und Santa’s Schlitten zieht
periodisch
durch meinen Fenster-Dschungel, weil der Kollege O. auf allen Rechnern ’X-Snow’ installiert hat.
Na gut!!! Ich gebe mich geschlagen!
BASTARD XMAS MODE ON
Zwei Stunden später kommt Marianne an meiner offenen Bürotüre vorbei.
"Nein! Wie niedlich!" kreischt sie entzückt und bewundert gebührlich den festlich geschmückten Weihnachtsbaum
auf dem
Raid-Array 17, das ich unter einer dicken roten Filzdecke geschickt versteckt habe.
"Und sogar echte Wachskerzen!" seufzt Marianne ergriffen. Ich nicke stolz und weise bescheiden aufs Fenster, das von
einer
blinkenden Kette Cocacola-roter Lichter eingerahmt wird. Hinter meinem Schreibtisch flackern kleine putzige orange
Lichtmuster, mal links, mal rechts, mal abwechselnd. Aus den Boxen tönt leise und fortwährend ’Jingle Bells’, und
auf
meinem 22-Zoll-Plasma-Display zerstäuben lautlos bunte Feuerwerks-Simulationen. Was, zum Teufel, geht hier vor, fragen sich jetzt alle Leser?! Leidet der B.A.f.H. an galoppierender Hirnerweichung?
Hat
Frau Bezelmanns persistentes ’White Christmas’ ihn endlich mürbe gemacht? Hat er einen traumatischen Rückfall in
die Zeit
als er noch Engel sechster Klasse auf dem Transatlantik-Flug München-New York war? Oder ist etwa der Super-GAU? Für diese
Kolumne eingetreten, und der B.A.f.H. ist zum angepassten, langweiligen Konformisten retardiert?!
ABSOLUTELY NOT!
’Jingle Bells’ wird mit priority 20 (und unter Umgehung sämtlicher Proxy-Server) live aus Los Angeles übertragen
und legt
auf dem Weg bis in mein Büro sämtliche Zwischen-Router des Wissenschaftsnetzes lahm. Der festliche
Weihnachtsbaum besteht
aus den zerschnipselten Überresten zu korrigierender Diplomarbeiten (es gibt tatsächlich noch immer Studenten, die
glauben, ich würde die ruhige Zeit zwischen den FEUERtagen produktiv nutzen!). Die Nadeln entstammen einer
grosszügigen
(wenn auch nicht ganz freiwilligen) Spende von Frau Bezelmanns berühmten Post-Kaktus; die roten Wachskerzen
sind von der
seltenen und Mittlererweile schwer zu beschaffenden DDR-Sorte ’Lenins Erleuchtung’, welche bekannt dafür sind,
dass sie
mehr als 95% ihrer Wachsmasse zerfliessen lassen, anstatt sie ordentlich zu verbrennen. Zufällig sind die meisten
Kerzen
genau ueber dem Einzugsschacht des Farb-Lasers befestigt; ich schätze, ich weiss jetzt, was ich mit dem übrigen Etat
im
’SCHWAFEL’-Projekt zu Weihnachten machen werde...
Die rote Filzdecke auf dem Raid-Array 17 sorgt hoffentlich dafür, dass das Ding noch vor dem Ablauf der Garantie an
Silvester wegen Überhitzung das Geistliche segnet. Und die dekorative Cocacola-rote Lichterkette habe ich aus der
Tiefgarage ’ausgeliehen’. Ursprünglich hatten die Klingonen-Hausmeister damit die unbeleuchtete Baugrube im
zweiten
Untergeschoss abgesichert. Das regelmaessige Rumpeln während der letzten Stunde scheint anzudeuten, dass es sich
dabei
Ausnahmsweise um eine sinnvolle Massnahme gehandelt haben könnte. Die orange-roten Lichterspiele hinter meinem
Schreibtisch sind die verzweifelten "collision signals" des 3COM-Switches, der ganze Serien von synchronisierten
Ping-of-Deaths verdauen muss, und jedesmal, wenn auf dem Campus ein Windoofs-Rechner stirbt, platzt auf meinem
Display eine
simulierte Feuerwerksrakete!
Merry X-mess and a Happy New Year!
Um die weihnachtliche Stimmung abzurunden, bestelle ich per Internet für den Kollegen O. eine Klinik-Packung mit
1250
lilafarbenen Papierunterhosen (Marke ’Inkontinentia 3’), für Marianne einen Dildo im Klingonen-Stil mit eingebauter
Beleuchtung und für Frau Bezelmann eine Taschenbuchausgabe des berühmten amerikanischen Klassiker ’Wie
verwöhne ich
meinen Chef?’. Alle Ausgaben buche ich auf die Kreditkarten-Nummer von Sethimus Typhon, den ’Bastard Bureaucrat
from Hell’,
damit sich der auch nicht ganz ausgeschlossen fühlt.
Schliesslich ist es das Fest der Versöhnung und der Liebe, nicht wahr?

Mit freundlichen Grüßen

AndreasP