------------------------------Teil 2 --------------------------


Gegen dieses freisprechende Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staats-anwaltschaft, der sich die Generalstaatsanwaltschaft angeschlossen hat. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrem Rechtsmittel, das sich nicht gegen die getrof-fenen Feststellungen wendet, sondern lediglich eine Aufhebung und Zurückverwei-sung im Rechtsfolgenausspruch begehrt, eine grundsätzliche Klärung der Rechts-frage, ob einem Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr im Alarmfall bei der Fahrt in seinem Privatfahrzeug zum Feuerwehrstützpunkt die Sonderrechte des § 35 Abs. 1 StVO zustehen. Hierin ist die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts zu sehen.


II.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet, da das Amtsgericht den Betroffenen im Ergebnis zu Recht freigesprochen hat.

1. Dem Betroffenen, der als Angehöriger einer Freiwilligen Feuerwehr nach Aus-lösung eines Alarms mit seinem privaten Pkw zum Feuerwehrhaus fährt, stehen grundsätzlich die Sonderrechte des § 35 Abs. 1 StVO zu. Diese dürfen aber mangels ausreichender Anzeigemöglichkeit ihres Gebrauchs nur im Aus-nahmefall nach einer auf den Einzelfall bezogenen Abwägung nach Notstands-gesichtspunkten (vgl. Hartung NJW 1956, 1625) unter gebührender Berück-sichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden, wenn dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist (§ 35 Abs.1,8 StVO). Mit einem privaten Pkw, der keine Signaleinrichtungen wie ein Feuer-wehrfahrzeug aufweist, sind daher, soweit es um die Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit (§ 3 StVO) geht, allenfalls mäßige Geschwindigkeitsüber-schreitungen ohne Gefährdung oder gar Schädigung anderer Verkehrsteilneh-mer statthaft, was vorliegend noch der Fall ist.

a) Der Wortlaut des § 35 Abs. 1 StVO bezeichnet mit dem Tatbestandsmerk-mal „die Feuerwehr“ lediglich die Institution und besagt nichts darüber, welche Fahrzeugarten dieser Einrichtung hierunter fallen; er schließt priva-te Fahrzeuge aus dem Anwendungsbereich jedenfalls nicht aus.

Aus dem Standort der Norm am Ende des ersten Abschnitts der StVO („All-gemeine Verkehrsregeln“) und angesichts dessen, dass diese Sonderrege-lung von den Vorschriften der StVO vollständig befreit, kann geschlossen werden, dass es sich um eine eng auszulegende Sondervorschrift handelt, wovon auch die Staatsanwaltschaft zu Recht ausgeht. Dies besagt aller-dings noch nichts darüber, ob diese enge Auslegung bei dem Begriff „Feu-erwehr“ anzusetzen hat oder ob erhöhte Anforderungen an das Merkmal „dringend geboten“ und/oder an die Voraussetzungen des § 35 Abs. 8 StVO zu stellen sind.

Aus der Entstehungsgeschichte der Norm, die ursprünglich als § 48 Abs. 1 in die StVO eingestellt war, lässt sich nichts Entscheidendes für die Lösung der vorliegenden Frage herleiten.

Hingegen stellen die zu der StVO erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften eine wertvolle Auslegungshilfe bezüglich der Vorstellungen des Verordnungsgebers dar (Janiszewski/Jagow/Burmann, StVO, 16. Aufl., Ein-führung Rdnr. 232). In der VwV-StVO zu § 35 wird empfohlen, bei Inan-spruchnahme von Sonderrechten dies, wenn möglich und zulässig, durch blaues Blinklicht mit Einsatzhorn anzuzeigen. Aus dem einschränkenden Zusatz „wenn möglich“ kann geschlossen werden, dass nach dem Willen des Verordnungsgebers Fahrzeuge, die weder über blaues Blinklicht noch über Einsatzhorn verfügen, Sonderrechte in Anspruch nehmen können.

Hierfür spricht auch die Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums Ba-den-Württemberg zu § 35 StVO (GABl. 1981, 747). Danach stehen dem Angehörigen einer Freiwilligen Feuerwehr, der nach Auslösung eines Alarms mit einem privaten Pkw zum Feuerwehrhaus oder zum Alarmplatz fährt, die Sonderrechte nach § 35 Abs. 1 StVO zu. Allerdings trete die Pflicht, sich bei Alarm unverzüglich beim Alarmplatz einzufinden, grund-sätzlich hinter die Pflicht zur Beachtung der geltenden Verkehrsregeln zu-rück. Da die Privatfahrzeuge der Feuerwehrangehörigen keine Möglichkeit hätten, durch Blaulicht und Einsatzhorn den übrigen Verkehrsteilnehmern anzuzeigen, dass Sonderrechte in Anspruch genommen würden, verbiete es sich grundsätzlich - auch im Interesse der betroffenen Feuerwehrange-hörigen - Sonderrechte bei Fahrten mit dem privaten Pkw in Anspruch zu nehmen.
Der Bund-Länder-Fachausschuss StVO hat bereits 1992 anlässlich einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt zur Frage der Inanspruch-nahme von Sonderrechten nach § 35 Abs. 1 StVO durch Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr auf der Fahrt von der Wohnung zum Feuerwehr-stützpunkt folgende Auffassung vertreten:
„Nach § 35 Abs. 1 StVO kommt es darauf an, ob die Überschrei-tung der Vorschriften der StVO zur Erfüllung hoheitlicher Aufga-ben dringend geboten ist. Dies kann auch der Fall sein, wenn der Stützpunkt von der Wohnung schnell erreicht werden muss. Dabei ist aber § 35 Abs. 8 besonders zu beachten, wenn mit Privatfahr-zeugen gefahren wird, die für die übrigen Verkehrsteilnehmer nicht als Fahrzeuge mit Sonderrechten erkennbar sind.“

Ausweislich einer neueren Stellungnahme des Bundesverkehrsministers (Deutsche Feuerwehrzeitung 2001, 572) wird diese Auffassung heute noch vertreten.

Schließlich spricht auch eine zweckgerichtete Auslegung der Vorschrift da-für, dass Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr bei einer Fahrt im Alarm-fall zum Feuerwehr- oder Einsatzort grundsätzlich dem § 35 Abs. 1 StVO unterfallen, diese Sonderrechte jedoch nur in zumindest notstandsähnli-chen Ausnahmefällen in Anspruch nehmen dürfen. Denn damit wird einer-seits der in diesem Fall vorliegenden Notstandshilfelage und andererseits der durch die StVO geschützten allgemeinen Verkehrssicherheit Genüge getan.

b) Der Auffassung des Senats entspricht die Entscheidung des 3. Senats für Bußgeldsachen des OLG Stuttgart vom 07.10.1991 (NJW 1992, 993). Da-nach kann ein Polizeibeamter, der mit seinem Privat-Pkw eine mit Haftbe-fehl gesuchte Person verfolgt, die Sonderrechte nach § 35 Abs. 1 StVO in Anspruch nehmen, wenn die sofortige Diensterfüllung wichtiger erscheint als die Beachtung der Verkehrsregeln. Dieser Fall ist mit dem vorliegenden insoweit vergleichbar, als die Erkennbarkeit der Inanspruchnahme dieser Sonderrechte für die übrigen Verkehrsteilnehmer nicht bzw. (durch den Dachaufsatz) nicht ausreichend gegeben ist.

Ferner hat das OLG Braunschweig (Beschluss vom 05. März 1990 - Ss (B) 14/90 -) in einem gleichgelagerten Fall einem Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr nach einem Einsatzbefehl auf der Fahrt zum Spritzenhaus zwar die Berufung auf das Sonderrecht des § 35 Abs. 1 StVO verwehrt, da der Betroffene kurz vor Erreichen seines Fahrziels nicht davon ausgehen konn-te, dass die innerörtliche Geschwindigkeitsüberschreitung von 54 km/h dringend geboten gewesen sei. Die Entscheidung impliziert damit jedoch, dass, unter der Voraussetzung der dringenden Gebotenheit, einem Ange-hörigen der Freiwilligen Feuerwehr auf der Fahrt zum Feuerwehrhaus die Berufung auf diese Vorschrift grundsätzlich möglich ist.

Auch Kullik (NZV 1994, 58 und DAR 1995, 126) vertritt die Auffassung, dass ein Feuerwehrmann nach Alarmierung auf dem Weg zum Spritzen-haus als Fußgänger, Radfahrer oder Pkw-Fahrer die Sonderrechte nach § 35 Abs. 1 StVO in Anspruch nehmen kann. Zu Recht weist er darauf hin, dass einem Feuerwehrmann damit auch die Möglichkeit gegeben sei, mit seinem Privat-Pkw eine nach Zeichen 250 der StVO (Verbot für Fahrzeuge aller Art) gesperrte Waldstraße befahren zu können, um dadurch die Zu-fahrt zum Spritzenhaus abzukürzen.