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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : .....Etwas zum Nachdenken.....



Etienne
22.03.2003, 00:02
Alleine....

Allein - Mir ist kalt. Gänsehaut breitet sich aus. Ich liege höchst unbequem an Kopf und Nacken. Der rechte Oberschenkel ist zwischen meinem Sitz und dem Lenkrad eingeklemmt. Es ist eng, nass und der Regen prasselt neben meinem Gesicht auf die Straße. Der Wind raschelt irgendwo in der Finsternis im Laub von Bäumen und treibt den Geruch von heißem Kühlerwasser und verbranntem Gummi vor sich her. Der rechte Fuß schmerzt auch immer mehr, ich fühle ihn unter dem Bremspedal festgekeilt. Jeder Versuch, ihn in eine andere Lage zu bringen, endet mit einem hässlichen Schmerz.

Allein - Gerade noch spielte das Autoradio angenehme Musik, der Motor brummte zufrieden vor sich hin und die Heizung sorgte für ein wohlig warmes Klima. Jetzt ist es stockfinster, eiskalt und alles vom Regen durchnässt. Von weit her nähert sich endlich ein Lichtbündel durch den Regen. Hoffentlich biegt er nicht vorher ab, hoffentlich knallt er nicht noch gegen mein Wrack. Er blendet ab und wieder auf. Das Licht bricht sich in Tausenden von Glassplittern. Er fährt dicht heran. Geblendet schließe ich die Augen, versuche irgendetwas zu rufen. Doch mehr als ein lautes Zähneklappern bringe ich nicht zustande. "Da bewegt sich noch einer drin! Das ist sicher gerade erst passiert!". Beratung. "Können Sie beim Fenster rausklettern? Die Tür ist verkeilt". "Nein, ich klemme fest!", kommt es aus mir. Beratung. "Wir holen die Polizei - das ist das Beste!". Autotüren schlagen zu und rasend schnell entfernt sich der Wagen wieder.

Allein - Im Motorraum knistert es leise. Irgendeine Flüssigkeit tropft auf etwas Heißes und verdampft. Hoffentlich brennt nichts. In panischer Angst blicke ich um mich, aber ich kann keinen Feuerschein ausmachen.
Immer noch ist es eiskalt. Ab und zu schüttelt es mich kräftig durch und dann spüre ich wieder schmerzhaft meine steifen Glieder. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich mich in dicken Wolldecken vor einem großen, offenen Kamin sitzen und vergesse dann für Momente diese beißende Kälte. War hier gerade jemand gewesen, oder habe ich geträumt? Jedenfalls habe ich das Gefühl, schon seit Wochen hier zu liegen. Wieder kommt ein Auto. Nein, keine Polizei. Warnblinker, Licht. Das Licht fühlt sich im Gesicht warm an. Die Haare richten sich zur Gänsehaut auf. "Hallo?" "Ja, mir ist kalt", kommt es matt über meine Lippen. "Ich schau mal." Schritte entfernen sich. Ich kann nur die Beine sehen. Räder, Warnblinker und das Licht. Es kommt wieder, schiebt mir ein Kissen unter den Kopf. "Eine Decke oder so etwas habe ich leider nicht dabei!" Ich bedanke mich und er geht wieder weg. Leute steigen aus einem Wagen und betrachten mein Autowrack aus respektvoller Entfernung. Stimmengemurmel. Dann wandert ein Warndreieck durch mein Gesichtsfeld. Ganz leise höre ich Folgetonhörner. Motorengeräusche nähern sich. Blaulicht. Herzklopfen.
Licht kommt auf mich zu.

Ein grelles Folgetonhorn peitscht meine Nerven auf. Ich drehe den Kopf und versuche vergeblich, den scharfen Tönen auszuweichen. Endlich erlöscht der Ton. Ich entspanne mich wieder. Motoren laufen, Türen schlagen. Blaues Licht zuckt umher und die tausend Glassplitter tanzen im Takt mit.
Ein Gesicht taucht auf: "Wie ist das passiert? Sind Sie alleine?"

Jetzt nicht mehr, möchte ich antworten. "Sind Sie eingeklemmt?" Ein anderes Gesicht kommt nahe zu mir: "Können Sie Ihre Beine fühlen?" "Ja, aber es tut schrecklich weh!" Er fasst nach meinem Puls, streicht mir dann den Dreck aus meinem Gesicht. "Wie heißen Sie?" Mir fällt mein eigener Name nicht ein! "Na, das ist nicht das Wichtigste - erst holen wir Sie da mal raus und bringen Sie ins Warme. Sie müssen aber noch einmal tapfer sein!"

Er macht mir Mut. Ich spüre seine warme Hand und weiß nun, dass dies alles ein Ende finden wird. Noch mehr Licht kommt hinzu. Ich höre Kommandostimmen. Motoren werden angelassen. Mein Herz klopft bis zum Halse. Die Hand bleibt bei mir. Mal ist sie an meinem Handgelenk, mal wischt sie über mein Gesicht. Ich schließe die Augen und im Traum wird die Hand riesengroß. Gerade so wie ein Kamin...
Blech knirscht. Schmerz. Entspannung. Ich werde getragen, dann gefahren. Ich kann die Augen nicht mehr öffnen, sehe nicht, wo ich bin. Aber sicher ist alles o.k., denn die warme Hand ist dabei. Wohin die Fahrt geht, weiß ich nicht. Jedenfalls immer der Hand nach...

Wer nie selbst in einer ähnlichen Lage war, kann sich nur schwer in die Lage eines Unfallopfers versetzen. Können Sie es? Und können Sie es sich vorstellen, wie Sie sich fühlen würden? Sind wir uns doch ehrlich: Haben wir nicht schon danebengestanden und während der Rettungsaktion kein Wort mit dem Unfallopfer geredet? Haben wir beim Herausschneiden eines Eingeklemmten vielleicht auch lieber gleich an den Aggregaten gearbeitet und haben Spreizer und Schere lieber den Kameraden überlassen?

Wenn Sie diese Fragen todsicher verneinen können, dann blättern Sie schnell weiter. Dann ist auch das Wort Psychologie für Sie nur ein Modewort, das man gebraucht, wie Toilettenpapier. Sollte Ihnen aber die Kurzgeschichte etwas gesagt haben, so darf ich Sie in der Runde derer begrüßen, die sich Gedanken um ihre Opfer machen und nicht nur der Held in Uniform sein wollen.

Wir sind sicher, dass diese Worte hart sind und sich der eine oder andere getroffen sieht. Wenn das erreicht worden sein sollte, sind wir schon zufrieden. Ich selbst war auch einmal einer, dem beim Ausfahren der Puls durchging und dann dem Unfallopfer gegenüber mit einem dicken Frosch im Hals kämpfte. Und irgendwann, als dann der Reiz des Neuen langsam der Routine wich, habe ich spüren können, wie dankbar die Unfallopfer über jedes Wort sind, dass man mit ihnen wechselt. Hie und da ein steuerndes Wörtchen eingestreut, eine Berührung oder auch nur ein gezielter Blickkontakt und er wird über Sie Wunderdinge erzählen und wie gut Sie ihm die Angst genommen haben.

AndreasP
22.03.2003, 01:14
Hey Etienne,

Also respekt was diesen Text angeht. Ich finde wir sollten alle mal darüber Nachdenken. Wer hat sich denn schonmal darüber Gedanken gemacht, wie es einem Unfallopfer geht? Denn die "Opfer" klammern sich an jeden Strohhalm den sie bekommen. Und da ist wie in dem Text eine Hand die dem Opfer gereicht wird schon ein großer Anfang, ab da wissen die Opfer "Ich bin nicht mehr alleine". Und ich finde man sollte eindringlich auf die Opfer einreden, damit das Opfer sich erstmal etwas beruhigt, und zweitens die Rettungsaktionen nicht komplett mitbekommt. Man sollte den Opfern auch genau erklären was gemacht wird, damit sie dann wissen was los ist, wenn das Auto mal wackeln sollte.

Ich finde wir sollten hiermit mal eine Diskusion über "Unfallopferbetreuung" starten, eure "Fälle" mal schildern und sagen was Ihr dabei empfunden habt. Wie Ihr an solche Einsätze rangeht, was Ihr gemacht habt. Ich finde es würde mit Sicherheit interessant werden.

Was haltet Ihr davon?

Mit freundlichen Grüßen

AndreasP

KugelFish
22.03.2003, 03:03
Ein wirklich schöner Thread! Freut mich das sich auch mal jemand über die "Gegenseite" gedanken macht.

Leider ist es aber noch allzu gängige Praxis, dass Patienten da draußen "alleine" gelassen werden, indem sich Kollegen hinter ihrer Maschinerie verstecken.

Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass ein Lächeln oder ein "Handauflegen" manchmal mehr bringt als so manches Medikament.
Im übrigen gilt das auch für den Bewusstlosen. Man soll nicht unterschätzen wieviel ein Bewusstloser (in seinem Unterbewusstsein) noch alles mitbekommt. Auch hier sind aufmunternde Worte und ein wenig Körperkontakt (Hand auf die Schulter legen etc.) von essentieller Bedeutung.
Nur weil er "schläft" darf man ihn nicht als Sack Kartoffeln behandeln.

Christian
23.03.2003, 13:31
Hallo,


hab selber Mal mit Auto auf Dach gelegen (1996) und mir dabei den C2 gebrochen, war aber nicht bewußtlos. Alles gut überstanden, keine Folgen. Aber von der Zeit bis das Auto zu Stillstand kam und der erste Ersthelfer kam schien ewig, es war toll jemanden da Draußen zu hören. Und Hilfe kam auch kurze Zeit (NEF, RTW) später. Die Ersthelferin (eine junge AIPlerin) war das Licht am Ende des Tunnels ... allerdings war sie (aufgrund der Verletzung sicher nicht von Nachteil) sehr kühl und professionell.

Betreuung am Unfallort ist sehr wichtig, da gebe ich recht !

Joevo82
23.03.2003, 23:02
Gabs diesen Text nicht schon mal irgendwo?

Kannst du evtl. mal hier die Quelle angeben?

Etienne
24.03.2003, 11:25
Hey Leute


@Joevo82

Hey!

Das stimmt, den Text gab es schon mal irgendwo! Aber ich weiß leider nicht mehr wo! Habe mir den mal einfach auf die Festplatte kopiert!

Sorry!